Ein ungewöhnlicher Ort, ein ungewöhnlicher Fund und auch noch eine solche Geschichte – Christian Tannhäuser kommt regelrecht ins Schwärmen. Dann fischt der Gebietsreferent Nordthüringen des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie diese Besonderheit aus der kleinen Pappbox und legt sie auf den Holztisch. Es ist ein Feuersteindolch aus der frühen Bronzezeit. Er stammt aus der Aunjetitzer-Kultur und ist wohl über 4000 Jahre alt. Er wird auf 2200 bis 2000 vor Christus datiert.

 Es ist schon ein paar Jahre her, dass Gerhard Müller aus Deuna, als er noch bei der dortigen Agrar GmbH arbeitete, auf den Dolch gestoßen ist. Auf zwei Feldern nahe Gerterode war er damals mit dem Pflug unterwegs. „Beim Wechseln der Pflugschar setzte ich immer Erde an und da ist der Dolch runtergefallen“, erinnert er sich. Das Stück kam mit zu ihm nach Hause und wurde bald vergessen. Erst im vergangenen Jahr erinnerte er sich wieder daran, holte es aus dem Schrank und brachte es, zu Torsten W. Müller, Leiter des Eichsfeldmuseums in Heiligenstadt. Beide waren sich einig: Das ist kein gewöhnlicher Fund und vor allem besonders für die Region. Nur einordnen konnten sie ihn nicht. Also kontaktierten sie Wulf Walther. Er ist Fachreferent für Ur- und Frühgeschichte bei den Mühlhäuser Museen und wusste gleich, womit man es da zu tun hatte. „Als letzter Protagonist in der Odyssee des Dolches kam ich dann ins Spiel“, sagt Christian Tannhäuser.Die Aunjetitzer-Kultur markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands, erklärt er. Und zwar in Verbindung mit der Einwanderung neuer Bevölkerung aus Südost- nach Mitteleuropa. Diese brachten nämlich erst die Bronze mit. „Im Eichsfeld gibt es eigentlich keine Funde aus dieser Kultur – und natürlich waren wir erst einmal überrascht.“

Grab liegt wohl auf einem der beiden Felder

So einen Dolch hier zu finden, sei etwas ganz Besonderes. Und Wulf Walther macht es noch deutlicher: „Das ist kein Verlierfund. Das ist so etwas wie eine Rolex.“ Aber wie kommt dieser wertvolle Dolch auf einen Acker ins Eichsfeld? „Wir nehmen an, dass er aus einem Grab stammt, das irgendwo hier liegt“, so Wulf Walther. Anzunehmen ist auch, dass Gerhard Müller das Stück selbst mit dem Pflug zu Tage gefördert hatte, also dass es nicht schon längere Zeit an der Oberfläche lag. Denn Feuerstein ist hart, aber spröde. „Es ist ein großer Glücksumstand, dass er nicht zerbrochen ist“, macht Christian Tannhäuser deutlich. „Es gleicht einem Lottogewinn“, bringt es Wulf Walther da wieder auf den Punkt.

 

15 Kilometer entfernt vom Fundort, in Nohra bei Nordhausen, gebe es einen gut untersuchten Friedhof. Dort fanden sich 25 Gräber aus der Aunjetitzer-Kultur. „In dreien dieser Gräber haben wir Feuersteindolche dieser Art gefunden“, so Wulf Walther. Das nördlich vom Fundort gelegene Wippertal sei eine Wegetrasse dieser Zeit gewesen. Also sei anzunehmen, dass die Bewohner der Siedlung beim heutigen Nohra und das Grab, welches irgendwo auf dem Acker bei Gerterode versteckt liegt, etwas miteinander zu tun haben.Es gibt auch eine weitere Theorie: Nämlich, dass der Dolch eine Imitation der damals aufkommenden Bronzedolche ist. „Das würde auch die kulturelle Kette belegen, also die Migrationsbewegung der Bevölkerung aus Südosteuropa.“Außerdem sei der Dolch kein einfacher Gebrauchsgegenstand, sondern eben eine Waffe oder ein Zeremonialdolch. „Ein Prestigeobjekt also. Wenn so etwas jemanden ins Grab gelegt wurde, dann hatte er auch eine höhere soziale Stellung“, sagt Wulf Walther. „Das Fundstück besteht aus Kreidefeuerstein aus dem Norden, dem Ostseegebiet. Das ist ein wertvolles Material, der Stahl der Steinzeit sozusagen“, führt er weiter aus. Solche Dolche seien lebensnotwenig gewesen. Zum Schneiden, Bohren und zum Schnitzen wurden sie verwendet.Und: „Das Stück zeigt eine enorme handwerkliche Fähigkeit. Viele Arbeitsstunden sind in einen solchen Dolch geflossen und es brauchte Spezialhandwerker dafür. Auch deshalb sind solche Funde so wertvoll“, so Wulf Walther.

Eichsfeld war damals kulturelle Drehscheibe

Der Fund zeige weiterhin, so Christian Tannhäuser, dass das Eichsfeld mit seinen Randgebieten eine kulturelle Drehscheibe war. „Denn wir haben hier Material aus dem Norden und eine wahrscheinliche Vorlage aus dem Süden. Hier in der Mitte treffen sich diese beiden Komponenten.“Der Dolch selbst geht nun ins Landesarchiv zurück. Dort wird er aufgenommen, Fundplatz und Finder werden vermerkt. „Aber wir wollen ihn nicht wegschließen“, macht Christian Tannhäuser deutlich. Denn solche Funde fallen nach Thüringer Denkmalschutzgesetz unter das sogenannte Schatzregal, einer staatlichen Regelung, die besagt, dass Bodenfunde, bei denen der Eigentümer nicht mehr nachvollziehbar ist, Eigentum des Freistaates sind und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen.In diesem Zusammenhang kam auch die Idee von Gerhard Müller, ob der Dolch nicht einmal im Eichsfeldmuseum in Heiligenstadt ausgestellt werden könne. Eine entsprechende Leihgabe sei durchaus möglich, so Christian Tannhäuser. „Denn wir wollen auch zeigen, dass es Menschen gibt, die Dinge aus Zufall finden und erkennen, dass es etwas Besonderes, ein Teil ihrer Geschichte ist.“ Wulf Walther verweist auch noch einmal darauf, dass solche Funde meldepflichtig sind, denn sie gehören in wissenschaftliche und öffentliche Hand. In der frühen Bronzezeit waren die Menschen lange Zeit Bauern, so der Fachreferent. Sie bauten Siedlungen und ernährten sich von der Landwirtschaft. „Im Thüringer Becken sind gut 100 solcher Siedlungen nachgewiesen. Aber das Eichsfeld war da bisher ein weißer Fleck. Auch ganze Stücke sind selten und gerade so eines hier, dass augenscheinlich schon eine lange Vergangenheit hinter sich hat, denn auch Bearbeitungsspuren am Stein sind zu erkennen.“ Wulf Walther hofft, jetzt noch auf den Feldern Skelettreste oder Tonscherben zu finden. Eine große Grabung wird es aber nicht geben, höchstens sogenannte punktuelle Notgrabungen, falls man auf etwas stoßen sollte.

 

Quelle: Thüringer Allgemeine, 14.08.2019

 

   
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